FR: Zwei Welten

Zwei Welten

Bockenheim als Univiertel werden viele vermissen - da hilft auch kein noch so schöner neuer Campus im Westend
VON NICOLE KOLLER

Er ist etwa Mitte 20, trägt ein schwarzes T-Shirt über der blauen Jeans und eine große Tasche über der Schulter. Wie die meisten jungen Leute, die an der Bockenheimer Warte aus der U-Bahn steigen, ist er vermutlich Student. Und wie viele seiner Kommilitonen scheint er es nicht besonders eilig zu haben.

Einige Studenten laufen zwar gleich auf das Juridikum oder das Hörsaalgebäude zu, andere aber schlendern erst mal auf einen Kaffee ins "Extrablatt" oder machen sich auf den Weg rüber zur Leipziger Straße. In Bockenheim trifft man Studenten nicht nur auf dem Campus, sondern so gut wie überall: in einem der vielen Restaurants, in der Drogerie oder im Supermarkt um die Ecke.

Bockenheim oder Westend? Auf welchem der innerstädtischen Campi fühlen sich Studierende wohler - und in welchem Stadtteil? Klar: Auch im Westend sind täglich Tausende Studenten unterwegs. Allerdings sind sie außerhalb des Unigeländes eher eine Seltenheit. In den Copyshops sind sie anzutreffen und an den Bushaltestellen. Und scharenweise auf dem Weg von und zur U-Bahnstation Holzhausenstraße. Fast ausnahmslos begeben sie sich auf direktem Weg zum Campus - oder von ihm weg, meist gen Innenstadt oder Bockenheim.

Und ohne Zwischenstopp im Café oder am Kiosk. Denn zum Studentenviertel ist das Westend bisher nicht geworden. Auch nach sieben Jahren nicht. ...

"Der Campus Westend ist auf jeden Fall der Schönere ", sagt Marlene Huyer, Romanistikstudentin, "trotzdem bin ich lieber in Bockenheim." Die 24-Jährige fährt in der Mittagspause oft mit dem Bus nach Bockenheim, um Pizza essen zu gehen. Denn immer Mensa "schmeckt nicht" und gute Restaurants mit Studentenpreisen gebe es im Westend kaum. Auch Sonja Bachofer gefällt die lebhafte Umgebung Bockenheims. "Die Imbisse in der Leipziger Straße sind praktisch, günstig und schnell", sagt die 24-jährige Studentin. Und wenn ihr mal die Zahnpasta ausgegangen ist, läuft sie zwischen den Vorlesungen einfach bei der Drogerie vorbei, wenn sie noch was fürs Abendessen braucht, bei Plus.

Besonders begeistert ist Sonja vom Bockenheimer Wochenmarkt, direkt am Campus. "Toll, wenn man donnerstagmorgens zur Uni kommt und alles schon so lebhaft ist." Und beim Anblick des "leckeren, frischen Gemüses" werde sie dazu inspiriert, abends mal "was Besonderes zu kochen".

Anscheinend sind sich die Studenten einig: Im Westend ist es schöner, in Bockenheim wird was geboten. Tritt man in Bockenheim aus dem Unigebäude, befindet man sich in einer belebten Straße, zwischen Bussen, Autos und Straßenbahnen. Im "Zimt und Koriander" kostet die Pizza 3,90 Euro, im Kish Restaurant kann man für das persische Mittagsmenü bezahlen, was man will. Je nachdem, wie das Essen geschmeckt hat, gibt man eben einen oder zehn Euro.

Günstige Restaurants als Alternative zur Mensa, Bars und Kneipen, Supermärkte, Buchläden und Drogerien reihen sich aneinander. Alles ist in weniger als fünf Minuten zu erreichen.

Verlässt man dagegen den Campus im Westend, findet man sich in einem relativ ruhigen Wohngebiet wieder. In den Restaurants sitzen Männer in weißen Hemden, an ihren Stühlen hängen schicke schwarze Jackets. Nach Studenten sehen die Gäste im "Vini da Sabatini" oder im "Sushi-King" nicht aus.

Wie diese beiden Restaurants am Grüneburgweg seien auch die meisten Cafés im Westend "eher für Geschäftsleute", sagen Katharina, 24, und Caroline, 26. So schlimm finden die beiden das fehlende Angebot für Studenten allerdings nicht, denn die Mensa sei "sowieso preiswerter" als jedes Restaurant...

Im Sommer werde daher das Fehlen von Geschäften, Bars und Cafés eher kompensiert, meint Sonja Bachofer. Das Westend punktet also mit dem schöneren Campus, den man nicht unbedingt verlassen muss. Wo man in Ruhe lesen oder sich faul ins Gras legen kann. Will man allerdings nach der Uni auf ein Bierchen in die Kneipe um die Ecke gehen, ist man in Bockenheim wohl besser aufgehoben. Da sind sich fast alle einig. Bleibt nur noch zu entscheiden, wo man die Happy Hour verbringt.

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 31.05.2008


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