Nur ein winziges Wunder, wenigstens einmal

(Weihnachten ist eine schöne Zeit)

Rrrrrrrrrrrrrr rrrtat rrrtat rtat rtat – rtat –t tatatatatat ttt tat tttt ttt tt t t t t pffft.
Achtung, dachte ich, gleich tut’s einen Schlag. Vorsichtshalber legte ich die Hände auf meine Ohren, um sie im Fall des Falles zu schützen. Ich wartete, doch nichts passierte.
Stille.
Langsam löste ich mich aus meinem Schreck, Was war das, fragte ich mich. Eindeutig ein Geräusch einer anderen Art. Unnötig leise stand ich aus meinem Sessel auf und schlich durch meine Wohnung, die Ohren gespitzt, als könnten sie gleich einem Seismograph die Quelle dieses unheimlichen Staccatos aufgrund des Nachhalls aufspüren. Nach einer Weile landete ich in der Küche und war mir ganz plötzlich sicher, hier war es. Ich spürte das, ganz genau. Sachte legte ich mein Ohr an jedes meiner Geräte. Die Küchenuhr tickte, der Kühlschrank summte, die Kühltruhe vibrierte wie eh und je. Toaster, Milchaufschäumer, Radio, der Mixer und die elektronische Saftpresse waren abgeschaltet, vorsichtshalber zog ich aber doch die Stecker heraus. Eine Ahnung befiel mich. Schon weil ich nicht wollte, dass es so ist, verdrängte ich meinen Verdacht und hielt ich einen großen Abstand um das verdächtige Gerät, doch diese Totenstille brachte mich dann doch dazu. Ich riskierte es, schließlich waren es draußen minus 17°, minus! Eisig zog der Wind durch die Ritze an der Fensterbank. Beherzt legte ich die Hand auf die Heiztherme, nichts. Keinerlei Bewegung, keinerlei Geräusch, nur die Uhr tickte stoisch weiter. Die Uhr, mein Gott, geschockt blickte ich auf die Zeiger, halb fünf, du musst sofort bei der Wartungsfirma anrufen, schoss es mir in den Sinn, es ist der 19.12., halb fünf, nächste Woche ist Weihnachten!
Sofort stürzte ich zum Telefon, zerrte das Telefonbuch aus der Schublade, wählte, wartete. Angespannt hielt ich den Hörer in der Hand, weiß schimmerten die Knöchel unter der Haut durch. Ich zwang mich, locker lassen, gab ich mir selbst die Anweisung. Tuut tuut tuut, endlich, jemand hob ab.
Von wegen.
„Sie rufen außerhalb unserer Geschäftszeiten an. Sie erreichen uns unter bla bla bla, über die Feiertage bla bla bla, in dringenden Fällen wenden sie sich bitte an unseren Notdienst...“, zum Glück haben sie einen Notdienst, mir fiel ein Stein vom Herzen, hastig notierte ich die Nummer. Während ich wählte, spüre ich, wie die Kälte langsam in mir aufstieg, unbewusst rieb ich meine Füße aneinander.
Endlich, jemand meldete sich. „Hier der Notruf der Firma TFG, bitte haben Sie einen Moment Geduld, wir verbinden sie, bitte haben sie einen Moment Geduld, wir verbinden Sie, bitte haben sie ... wir verbinden Sie, fiel ich wie in Trance nach der x-ten Ansage in die Notruflitanei ein. „Hier Mayer von der TFG“, meldete sich plötzlich völlig unerwartet eine Stimme. Ich war noch ganz benommen, reagierte nicht gleich, da brüllte die Stimme noch einmal. „Mayää, TFGee, Halloo!!“
„Meine Heizung ist kaputt“, brachte ich vielleicht etwas zu heftig hervor, aus Panik, Herr Mayer könnte auflegen.
„Ach.“ Sonst nichts, Herr Mayer schwieg sich aus, doch ich war nicht gewillt aufzugeben. „Ja“, insistierte ich, „es hat auf einmal rrrrrrrrrrrrr rrrtat rrrtat rtat rtat – rtat –t tatatatatat ttt tat tttt ttt tt t t t t pffft gemacht, dann nichts mehr.
„Und jetzt werd’s langsam e bissi kalt, gelle?“, unterbrach er mich. „Gut Fraa, next Woch’ is Weihnachte, wisse se ja, gell, also vor nachhä kann ich net komme“, er lachte über seinen vermeintlichen Witz, mir war nicht danach zumute. „Also, jetzt stelle se sich erst emal en Lüfter uff...“ „Was meinen Sie denn mit nachher“, fragte ich, denn mir war klar, die Zeit läuft und draußen waren es 17° minus, meine Fenster schlossen nicht dicht, und bei solchen Temperaturen würde es ruckzuck kalt werden, unerträglich kalt. „Ei, dess kann ich Ihne net genau sache, heut werd’s uff jeden Fall nemmer klabbe, es is gleisch halber sechs...“ „Ja aber“, unterbrach ich, ich denke sie wären ein Notruf.“ „Also“, wieder lachte er so blöd, „ich bin de Hä Mayä, und ich bin schon de ganze Taach unnerwegs, mein Kollesch is krank und außädem gilt der Notruf nur beim Gasarlarm, abber so schlimm werd’s ja wohl, net sein, oddä riesche Se was?“ Er lachte schon wieder. „Mer komme so schnell wie’s geht, abber Geduld, erst die schlimme Fäll, gell. Morje früh steh ich bei Ihne uff de Matt, dann seje mer mal weidä. Wie war die Adress?“ Mir war klar, bei so viel Einfühlungsvermögen für meine Situation half nur noch eins. Gutstellen mit dem Handwerker, sonst passiert gar nichts oder er kommt noch später, oder überhaupt erst übermorgen, wenn überhaupt und überhaupt. Ich sah mich schon über Weihnachten im Hotel. Deshalb säuselte ich jetzt in meinen schönsten Tönen „wie nett, dass Sie es möglich machen, Herr Mayer. Nein, nach Gas riecht es nicht, natürlich kann ich bis morgen früh warten, lieb, dass sie es dann einrichten können ...“ „Die Adress!“, unterbrach mich Herr Mayer ungeduldig, „sache Se mer Ihr Adress und Ihr Telefonnummer, falls was dazwische kommt, ich muss weidä mache.“
„Wie, was soll denn dazwischen kommen“, wieder dieser Gefühl, ausgeliefert zu sein, ich hätte losschreien können, doch ich war auf Herr Mayä von der TFG angewiesen, ich beherrschte mich.“
„Ei da steckt mer nie drin, gelle, Gasarlarm oddä sonst e Katastroph, dess hat natürlisch Vorrang, ich sachs Ihne ja nur.“ Ich unterdrückte eine Antwort, wusste, das hat keinen Sinn, Handwerker haben immer recht, sie sind rar und empfindlich, besonders vor den Feiertagen und sie wollen gehätschelt werden, sonst bleibt es kalt oder nass oder was auch immer sie gerade angefangen haben, es bleibt liegen, wenn sie überhaupt gekommen sind. „Regenbogenstraße 7, lenkte ich also ein, am Zoo, direkt an der Ecke Hansenplatz, 069-443816.“ „Also dann, bis morje dann.“ Päng. Ungerührt legte Herr Mayer auf. Ich hingegen schluckte kräftig, holte den Heizlüfter aus dem Schrank, zwei Flaschen Rotwein aus dem Keller und wickelte mich in mindestens zwei Decken. Das kann ja heiter werden, dachte ich und schaute auf das Thermometer, das ich mir vorsorglich auf den Tisch gelegt hatte, damit ich die Temperatur kontrollieren konnte. Obwohl der Lüfter fleißig ratterte und brummte, spürte ich, wie sich überall Kälte breit machte. In mir und außerhalb von mir. Bibbernd hielt ich mich an meinem Rotwein fest und ließ meine Gedanken treiben. Diese Wohnung ist die Hölle, dachte ich schon ein wenig vom Rotein benommen. Ich nahm mir vor, auszuziehen, natürlich nach Weihnachten also erst nächstes Jahr und während ich mir über die zeitlichen Dimensionen meiner begrenzten Möglichkeiten klar wurde, dämmerte ich langsam weg. Meine wirren Träume führten mich an die schlimmsten Orte meiner Erinnerungen. Unerbittlich zogen die sorgsam verdrängten Bilder und Eindrücke durch mein Unterbewusstsein. Höhnisch grinste mir die unappetitliche Fratze meines Vermieters entgegen. Handwerker schleuderten ihr Gerät durch die Luft, Wasser tropfte von der Decke auf das Bücherregal, aufgeweichte Bücher, wichtige Unterlagen bis zur Unkenntlichkeit aufgeweicht, der Umzugswagens, beladen mit meinem ganzen Hab und Gut raste bei einem Ausweichmanöver in einen Gartenzaun, wenige Tage nach dem Einzug Gasalarm, entnervte Handwerker , Blitzeinschlag in die Laterne vorm Wohnzimmerfenster, ätzende Diskussionen mit dem Vermieter wegen der Versiegelung des Parketts und der Installation neuer Leitungen. Gerade als ich losschreien wollte, holte mich ein trockenes Klack in die Wirklichkeit zurück. Benommen schaute ich umher, am Heizlüfter blieb mein Blick schließlich hängen. Ungläubig starrte ich auf das Gerät, aus dem dünne Rauchstreifen zogen, plötzlich schlugen Flammen heraus, ein Knall und ich saß im Dunkeln. Geistesgegenwärtig warf ich die Decken von mir und kippte meinen Rotwein in die Richtung, wo der Lüfter stand. Es zischte, getroffen, dachte ich erleichtert. Wenigstens hast du einen Großbrand verhindert. Im Dunkeln tappte ich mich zur Steckdose und wollte den Stecker herausziehen. Was nun, überlegte ich und während ich an der Schnur riss, klingelte das Telefon. Beleuchtetes Display, endlich wusste ich, wozu das gut ist.
„Hier ist deine Mutter“, na die hat dir gerade noch gefehlt, dachte ich und sprach ein verzagtes „Hallo“ in die Muschel. „Was hast du denn“, fragte sie gleich gereizt, „stör ich dich etwa“, da brach es aus mir heraus.
„Verdammt noch mal. Meine Heizung ist kaputt, mein Lüfter ist gerade in die Luft geflogen, draußen sind es minus 17° und ich sitze hier im Dunkeln.“
„Minus 18°, mein Kind“, verbesserte sie mich, „ich denk, da war erst einer da wegen deinem Ofen, wieso ist der denn schon wieder kaputt?“
„Er ist eben schon wieder kaputt“, sagte ich, doch natürlich hakte meine Mutter nach. „Bei dir ist aber auch immer was, sag’ mal, was ist denn das für ein Gerät, da stimmt doch irgendwas nicht, hast du denn wenigstens schon bei der TFG angerufen? Nächste Woche ist Weihnachten, da kommt bestimmt kein Handwerker mehr.“ „Ja, Mutti, habe ich, die können erst morgen früh kommen...“ „Wieso erst morgen früh, die müssen doch kommen, schließlich hast du doch einen Wartungsvertrag.“
„Nein, müssen sie nicht, das heißt jedenfalls nicht gleich, Herr Mayer kommt morgen früh....“
„Ach du lieber Gott, der Mayer, der war auch schon bei uns, da kannst du lang warten, das wird nie was, da kannst du Weihnachten gleich zu uns...“
Doch diesmal ließ ich sie nicht ausreden. Ich schnitt ihr das Wort ab, war mir doch egal, ob Weihnachten ist, lieber hätte ich mir den Arsch abgefroren, als zu ihr zu gehen. „Herr Mayer kommt morgen früh, das hat er mir versprochen, dann repariert er mir meinen Ofen oder ich bekomme einen neuen Ofen oder ...“, begann ich zu erklären, doch meine Mutter unterbrach mich in ihrer unnachahmlichen spöttischen Art.
„Du glaubst doch nicht etwa an Wunder?“,. höhnte sie. „Und ob“, rief ich, „natürlich glaube ich an Wunder, hast du’s vergessen, nächste Woche feiert das Jesuskind seinen Geburtstag, es hat die Welt gerettet, den Lazarus lebendig gemacht, fünftausend Fische gezaubert und Herr Mayer steht morgen um acht Uhr auf der Matte.“ „Ach“, ich hörte förmlich, wie meine Mutter ihren Kopf schüttelte, „es soll ja mal eine Nonne gegeben haben, die den Klostertresor mit beten geknackt hat, weil sie so dusselig war und den Schlüssel verlegt hatte. Im Namen Gottes geht jeder Tresor auf“, äffte sie die Nonne nach und mir reichte es endgültig. Ich war fassungslos und knallte das Telefon grußlos gegen die Wand.
„Nur einmal, wenigstens einmal, lieber
Gott“, ein winziges kleines Wunder würde mir schon reichen, bitte“, schreiend warf ich mich zu Boden „Es ist doch Weihnachten!!! Wieso sollen sich immer nur die anderen wundern? Warum? Im Namen Gottes funktioniert jeder Ofen“, äffte ich fast tonlos die Stimme meiner Mutter nach und schlug wie verrückt auf die Therme. Ich war am Rande des Nervenzusammenbruchs, das spürte ich genau, mein Herz klopfte wild, Schweiß rann mir über das Gesicht. Minutenlang kauerte ich mich vor die Therme, unfähig, irgendetwas zu tun. Doch was dann passierte, glaubt ihr mir nie. Klack machte es, die Sicherung sprang an, die Wohnung war hell erleuchtet, selbst die Christbaumbeleuchtung, die ich noch nicht einmal fertig installiert hatte, war angesprungenen, geheimnisvoll funkelte das Lametta. Klack, da sprang auch noch das Thermostat an, ja, das Thermostat meines Ofens, ungläubig starrte ich auf das Blau der Zündflamme, mit einem kleinen Wumm begannen dann auch die vielen kleinen anderen Flämmchen zu brennen. Wärme machte sich breit, ganz sachte. Wieder ein Klack, dann hörte ich das Rauschen des Heizlüfters.
Einzig der Rotwein und die Scherben des Glases auf dem Teppich zeugten noch von der Katastrophe. Ergriffen nahm ich einen Schluck aus der Flasche, dann noch einen und noch einen und summte leise ein Lied.
Oh du fröhliche ...

Nicola Piesch


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